Der Roman »Hard Land«: Dancing with my Wells! (2024)

»Hard Land«, der neue Roman von Benedict Wells, wirkt so, als habe ihn ein Schreibroboter verfasst. Selten wurde ein Buch so uninspiriert, so tot und so vorhersehbar ins Herz von Instagram geschrieben. Ein garantierter Bestseller.

Inhaltsübersicht dieses Beitrags

Wie die Fliesenausstellung im Baumarkt

Dass in diesem Roman nichts lebe, nichts echt und alles nur geklaut sei, kann man eigentlich gar nicht behaupten. Doch beim Lesen hat man den Eindruck, jeden Satz schon einmal anderswo besser, origineller und das erste Mal gelesen zu haben.

»Hard Land« wirkt wie die Fliesenausstellung im gehobenen Baumarkt. Jeder Quadratmeter ein Muster für etwas größeres Ganzes und in seiner Gänze dennoch künstlich. Jeder Quadratmeter ausgelegt, um zu gefallen, um die Illusion zu erzeugen, dass man im eigenen wohlig gewärmten Bad stehe und Hits aus den 80ern trällert.

Ein Roman wie Formatradio mit dem Besten aus den 80ern und dem Besten von heute. Ein Roman, von dem die Leser:innen sagen werden, »er hat mich berührt«.

Exemplarisch für die Größe von »Hard Land« aber auch für die Einfallslosigkeit ist der erste Satz des Romans, der da lautet:

In diesem Sommer verliebte ich mich, und meine Mutter starb.

Ein großartiger erster Satz. Er macht durch seine Gegensätze neugierig. In diesem Satz liegt der ganze Roman, liegen die ganzen folgenden 337 Seiten. Allein das »In diesem Sommer« lässt Sehnsucht und Erinnerung an selbst Erlebtes aufkommen. Der Teppich für eine ganz große berührende Geschichte ist ausgelegt.

Nicht geklaut, nur »mitgenommen«

Aber auch: ein abgegriffener und verbrauchter Satz. Hat man ihn nicht schon Dutzende Male irgendwo anders gelesen? Kann man nicht jeden Roman auf solch einen Einleitungssatz bringen? In diesem Sommer lernte ich schwimmen, und mein Vater flog zum Mond. In diesem Sommer starb meine Katze, und ich lernte Miriam kennen. In diesem Sommer studierte ich, und ich schloss einen Pakt mit dem Teufel. In diesem Sommer verliebte ich mich, und ich fuhr in einem Lada durch ein Maisfeld.

Und: Tatsächlich ist der Satz geklaut – oder vielmehr »mitgenommen«. Das gibt Benedict Wells im Nachwort zu. Der Satz ist im Original von Charles Simmons aus dem Roman Salzwasser von 1999.

Im Sommer 1963 verliebte ich mich, und mein Vater ertrank.

»Ich hoffe, es wird mir verziehen«, schreibt Wells. Aber natürlich. Das macht den Autor (Jahrgang 1984) doch umso sympathischer und nahbarer, wenn er indirekt zugibt, dass er kein Meister des ersten Satzes sei.

Genauso wie der erste Satz ist der ganze Roman.

Wir befinden uns in der amerikanischen Provinz, in der Kleinstadt Grady, wir sind in den 1980ern. Für Sam ist die Schulzeit bald vorbei, dann wird er und dann werden alle anderen in seinem Alter raus aus der muffig-verklemmten Enge in die weite Welt gehen. Alles wird anders werden nach diesem Sommer. Aber davor wird Sam sich verlieben und seine Mutter sterben.

Benedict Wells komponiert alles perfekt. Er lässt Sam einen Aushilfsjob im örtlichen Provinzkino annehmen, was dem Autor die Möglichkeit gibt, viele Filme der 80er und der Jahre davor zu referenzieren. Sam lernt Gitarre, und nicht nur das eröffnet die Möglichkeit, viele Songs und Hits aus dieser Zeit zu referenzieren. Bei der Beerdigung seiner Mutter wird er schließlich zur Verwunderung aller vor dem Altar mit seiner Gitarre den Billy-Idol-Song »Dancing with myself« schreien. Welch ein Bild, welch eine Symbolkraft. Und irgendwie auch eine Referenz an Marty McFlys Gitarrenauftritt aus dem 80er-Film »Zurück in die Zukunft«. Alles ist hier dicht gepackt. Was ist noch Referenz, was ist »mitgenommen«? Dancing with my Wells!

Alles in diesem Roman hat man an anderer Stelle schon einmal in einem anderen Buch gelesen, in einem anderen Film gesehen. Mitunter hat man den Eindruck, man liest mit »Hard Land« einen Roman, dessen Verfilmung man schon längst gesehen hat.

Konservativ und mit dem Besten von heute

Einen Roman in die 1980er zu verlegen, ist ebenfalls nicht originell. Einige aktuelle Werke junger Autor:innen wie z. B. Cloris gehen diesen Weg. Denn nur dort, in einer Zeit ohne Smartphone, WhatsApp und Social Media, kann man Geschichten von Sehnsüchten und Veränderungen noch unbefangen erzählen. Man könnte auch »konservativ« sagen.

Man muss es eigentlich ebenfalls nicht sagen, dass dieser Roman zur Gattung des »Coming-of-Age« gehört. Aber der Roman macht es. In »Hard Land« wird das Genre selbst erklärt. Er ist seine eigene Lektürehilfe, indem die Schüler im letzten Schuljahr einen Gedichtzyklus des einzigen bekannteren Schriftstellers aus Grady interpretieren müssen. Dieser Zyklus trägt ebenfalls den Titel »Hard Land«, was wieder einer der bemerkenswert gekonnten Kniffs von Benedict Wells ist.

In Bildern und Situationen, doch nie in der Sprache gleitet Wells in Kitsch ab. Und indem er auch schwarze, schwule und queere Charaktere auftreten lässt, mischt der Autor das Beste von heute in den Text. Die Zielgruppe wird es lieben, wird tief berührt aus der Technikschublade der Eltern den Walkman rauskramen und neben dem Buch fotografiert auf Instagram in eine weitere quadratische Fliesenform bringen.

Nein, das Buch wurde nicht von einem Schreibroboter geschrieben, es scheint vielmehr so, als habe Benedict Wells mit »Hard Land« die Bestsellerformel entdeckt.

Wolfgang Tischer

Benedict Wells: Hard Land: Roman. Gebundene Ausgabe. 2021. Diogenes. ISBN/EAN:9783257071481. 24,00€ »Bestellenbeiamazon.deAnzeigeoderimBuchhandel
Benedict Wells: Hard Land (detebe). Taschenbuch. 2023. Diogenes. ISBN/EAN:9783257246742. 14,00€ »Bestellenbeiamazon.deAnzeigeoderimBuchhandel
Benedict Wells: Hard Land. Kindle Ausgabe. 2021. Diogenes Verlag. 11,99€ »Herunterladenbeiamazon.deAnzeige

Der Roman »Hard Land«: Dancing with my Wells! (2024)

References

Top Articles
Latest Posts
Article information

Author: Tyson Zemlak

Last Updated:

Views: 5765

Rating: 4.2 / 5 (63 voted)

Reviews: 94% of readers found this page helpful

Author information

Name: Tyson Zemlak

Birthday: 1992-03-17

Address: Apt. 662 96191 Quigley Dam, Kubview, MA 42013

Phone: +441678032891

Job: Community-Services Orchestrator

Hobby: Coffee roasting, Calligraphy, Metalworking, Fashion, Vehicle restoration, Shopping, Photography

Introduction: My name is Tyson Zemlak, I am a excited, light, sparkling, super, open, fair, magnificent person who loves writing and wants to share my knowledge and understanding with you.